Zwänge: Therapie

Die Therapie von Zwängen besteht aus zwei wichtigen Bausteinen, der Psychotherapie (wie z.B. der so genannten Kognitiv-behavioralen Therapie, auch Verhaltenstherapie genannt) sowie der Behandlung mit Medikamenten. Welche Behandlungsmethode angewandt wird und ob gegebenenfalls eine Kombination der verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten sinnvoll ist, richtet sich nach dem individuellen Krankhheitsbild der Betroffenen.


Psychotherapie bei Zwängen

Psychoedukation

Am Beginn der Behandlung der Zwänge steht zunächst die “Psychoedukation”. Die Therapeuten erklären den Betroffenen (und wenn möglich auch ihre Angehörigen), was ein “Zwang” überhaupt ist, woher die Zwänge kommen und wie Zwänge behandelt werden.

Dies ist bei Zwangserkrankungen besonders wichtig, da Zwänge häufig sehr schambesetzt sind und die Betroffenen oftmals aus Scham versuchen, ihre Zwänge zu verbergen.

Wenn die Zwänge sehr ausgeprägt sind kommt es häufig vor, dass die Betroffenen ihre Angehörigen mit in ihre Zwänge einbinden. Deswegen sollten wenn möglich auch die Angehörigen durch den Betroffenen selbst und/oder durch seinen Therapeuten über die Zwänge aufgeklärt werden.

Funktionsanalyse

In der Funktionsanalyse erarbeiten die Betroffenen zusammen mit ihrem Psychotherapeuten bzw. ihrer Psychotherapeutin, welche Bedürfnisse der Betroffenen durch den Zwang (unbewusst) erfüllt werden, wie z.B. der Wunsch nach Sicherheit oder nach Unversehrtheit der Familie.

Zwangshierarchie

Die Therapeuten erarbeiten mit den Betroffenen eine so genannte “Zwangshierarchie”, in der die Zwänge und ihre Auslöser nach ihrem “Schweregrad” eingeteilt werden. Die Zwangshierarchie ist wichtig für die Durchführung der Zwangsexpositionen (siehe unten).

Zwangsprotokolle

Ein wichtiges Therapieelement sind die Zwangsprotokolle. Die Betroffenen dokumentieren darin die bei ihnen auftretenden Zwänge und die mit diesen verbundenen Befürchtungen und Konsequenzen, um diese im Anschluss mit ihrem Therapeuten / ihrer Therapeutin zu analysieren und alternative, hilfreichere Denk- und Verhaltensweisen zu entwickeln.

Alternativverhalten

Die Therapeuten erarbeiten mit den Betroffenen ein hilfreicheres Alternativverhalten zum Zwang. Dies ist wichtig, da die Zwänge im Hintergrund zumeist ein eigentlich sinnvolles Ziel haben, wie zum Beispiel die Gesundheit der Familie zu erhalten oder die Kontrolle über schwierige Situationen zu behalten. Nur leider sind die Zwänge diesem - eigentlich wichtigen - Ziel langfristig zumeist nicht zuträglich, sondern können es stattdessen sogar negativ beeinflussen.

Expositionen

Ein wesentliches Element in der Behandlung der Zwänge sind die Expositionen. In der Zwangsbehandlung hat sich dazu die sogenannte Technik der graduierten Exposition mit Reaktionsmanagement etabliert. In dieser versuchen die Betroffenen, sich - zunächst zusammen mit ihren Therapeuten und später auch eigenständig - ihren Zwängen bzw. den Zwangsimpulsen “auszusetzen” (zu “exponieren”).

Weiterlesen:
   • Zwänge: Verhaltenstherapie
   • Expositionstraining

Medikamente bei Zwängen

Wenn die Betroffenen unter sehr ausgeprägte Zwängen leiden, wenn neben den Zwängen zum Beispiel auch ausgeprägte Depressionen bestehen oder wenn vorrangig ausgeprägte Zwangsgedanken bestehen, kann es sinnvoll sein, neben der Psychotherapie auch Medikamente einzusetzen.

Dabei werden häufig die so genannten Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, insbesondere die so genannten Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) eingesetzt. In Deutschland sind u.a. die SSRI Fluoxetin, Fluvoxamin, Escitalopram und Paroxetin zur medikamentösen Behandlung der Zwangsstörung zugelassen.

Dabei muss u.a. beachtet werden, dass die Dosierung dieser Medikamente bei schweren Zwängen häufig höher liegen muss als in der Depressionsbehandlung.

Die Wirkung der Medikamente tritt erst nach ca. 4-12 Wochen ein. Die Betroffenen müssen über die lange Dauer bis zum Wirkungseintrit informiert werden müssen, um vorzeitige Therapieabbrüche wegen angenommener “Wirkungslosigkeit” zu verhindern.

Alternativ zu den SSRI kann z.B. auch der Nicht-selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Clomipramin eingesetzt werden.

Neben der Behandlung mit Medikamenten ist die Durchführung einer regelmäßigen psychotherapeutischen Behandlung wichtig, denn bei einer reinen Medikamententherapie besteht – auch bei zunächst gutem Erfolg – eine Rückfallrate von über 80%.

Weiterlesen:
   • Zwänge: Medikamente

Wodurch kann die Behandlung der Zwänge erschwert werden?

Wie Sie bereits gelesen haben, gibt es verschiedene Möglichkeiten, um die Zwänge zu behandeln. Diese Behandlung ist oftmals sehr wirksam, benötigt aber zumeist einen längeren Behandlungszeitraum von mehreren Monaten. Die Behandlung der Zwänge kann dabei durch verschiedene Faktoren erschwert werden:

Verschweigen von Zwängen

In der Therapie ist es für viele Erkrankte zunächst einmal eine große Hürde, sich einem Arzt bzw. Psychotherapeuten anzuvertrauen.

Sehr viele Betroffene erleben ihre Zwänge als etwas unnatürliches, beschämendes, über das sie nur sehr ungerne berichten. Deshalb kommt es sehr häufig vor, dass die Betroffenen in der Therapie zunächst nur von den leichteren, “nachvollziehbareren” Zwängen, wie zum Beispiel gehäuften Händewaschen berichten, und sie die belastenderen Zwänge erst einmal für sich behalten.

So besteht gerade bei aggressiven oder obszönen Zwangsgedanken, bei Zwängen mit religiösen oder sexuellen Inhalten sowie bei sehr “ungewöhnlichen” Zwangshandlungen oftmals eine große Hemmung, diese in der Therapie anzusprechen.

Dies kann jedoch dazu führen, dass wichtige Teile des Zwangs in der Behandlung nicht ausreichend Beachtung finden - und dann im Behandlungsverlauf vielleicht “leichtere Zwänge” verschwinden, während die wirklich schweren, hartnäckigen Zwänge immer noch bestehen bleiben.

Wenn Sie sich als Betroffener an einen Therapeuten gewandt haben und jetzt im Zweifel sind, ob Sie mit ihm über bestimmte Zwänge sprechen können, stellen Sie bitte die folgenden Fragen:

Wenn Sie diese beiden Fragen mit “Ja” beantworten, können Sie davon ausgehen, dass ihr Therapeut bereits sehr viele Lebensgeschichten von Betroffenen gehört hat, und dass er mit Sicherheit auch schon mit anderen Patienten über die vermeintlich “unmöglichsten Zwänge der Welt” gesprochen hat.

Ein Therapeut, der regelmäßig in der Behandlung von Zwängen arbeitet, kennt bereits die verschiedensten Varianten, die Zwänge annehmen können - sei es in aggressiven Gedanken gegen die eigene Familie, in komplexen Ritualen, die einen den ganzen Tag beschäftigen oder in massiven Ängsten, die einem das Verlassen des Hauses unmöglich machen.

Deswegen unsere Bitte: Sprechen Sie möglichst offen mit Ihrem Therapeuten über alle Zwänge - nur so kann die Behandlung wirklich erfolgreich werden.

Verharmlosen der Zwänge

Viele Betroffene “reduzieren” gegenüber ihrem Arzt bzw. Therapeuten auch das Ausmaß ihrer Zwänge auf ein “verträglicheres” Maß und berichten dann, dass sie sich “mehrmals am Tag die Hände waschen” - während sie in der Realität vielleicht jeden Tag mehrere Stunden im Bad verbringen. Auch dies kann wieder dazu führen, dass in der Behandlung nicht die richtigen Ziele gewählt werden - oder dass der Therapeut Übungen vorschlägt, die in Wirklichkeit viel zu schwierig sind, weil er das Ausmaß der Zwänge falsch einschätzt.

Auch hier gilt also wieder: Auch wenn es schwerfällt, reden Sie bitte offen mit Ihrem Therapeuten.

Verschweigen von Mißerfolgen

Kommen wir jetzt zu einem weiteren schwierigen Thema: Dem Umgang mit Mißerfolgen. In der Behandlung von Zwängen ist es volkommen normal, dass Übungen an manchen Tagen gut laufen und an manchen Tagen so überhaupt nicht funktionieren wollen. Reden Sie auch darüber mit Ihrem Therapeuten.

Um den richtigen Schwierigkeitsgrad für die nächsten Übungen zu finden ist es wichtig, dass Ihr Therapeut erfährt, welche Übungen für Sie “leicht” und welche “zu schwierig” waren. Es ist überhaupt kein Problem, wenn Übungen auch mal nicht auf Anhieb klappen - es gibt immer die Möglichkeit, mit passenderen Teilschritten zu arbeiten.

Zu hoher Druck von Außen

Sie kennen dies vielleicht: Langjährige Zwangserkrankungen haben immer auch einen Einfuss auf das soziale Umfeld - auf die Familie und Freunde der Betroffenen. Gerade innerhalb der eigenen Familie kann dann die Ungeduld steigen, dass “jetzt endlich etwas passieren muss!”

So nachvollziehbar, wie dies aus der Sicht der Angehörigen erscheinen mag: Die Behandlung der Zwänge braucht ausreichend Zeit - und zu viel Druck erreicht genau das Gegenteil.

Falls Sie sich als Betroffener zu sehr von ihren Angehörigen unter Druck gesetzt fühlen, versuchen Sie bitte nicht, mit diesen über die Behandlung und Ihre Erfolge zu diskutieren. Nehmen Sie Ihre Angehörigen besser einmal zu einem Therapiegespräch mit, damit nicht Sie selbst sondern Ihr Therapeut den Angehörigen die Grundlagen der Therapie und die Dauer der Behandlung erläutert.

Weiterlesen:
   • Was können Angehörige bei Zwängen tun?

Zu hoher Druck von Innen

Genau so hemmend wie ein zu hoher Druck von Außen ist auch ein zu hohe Druck “von Innen” - also der Druck, den Sie sich selber machen - oftmals eher hinderlich.

Damit es keine Mißverständnisse gibt: Ein gewisser Druck ist sicherlich hilfreich, damit eine ausreichende Motivation im “Kampf gegen die Zwänge” da ist. Aber ein zu hoher Druck führt dann schnell wieder dazu, dass man sich die Ziele zu hoch setzt und dadurch immer wieder Mißerfolge erlebt - wodurch die eigene Motivation letztendlich immer weiter abnimmt.

Bitte beachten Sie deswegen immer, dass die Übungen, die Sie mit Ihrem Therapeuten vorbereiten, auch wirklich Ihrem aktuellen “Leistungsniveau” entsprechen. Zu schwere Übungen bringen nur Frustration und Unzufriedenheit.

Probleme, einen Therapieplatz zu finden

Eine weitere Hürde in der Behandlung der Zwänge ergibt sich dann meist in der Suche nach einem geeigneten Therapieplatz.

Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, leiden ca. 2% aller Deutschen - also ca. 1,5 Millionen Menschen - im Laufe ihres Lebens unter einer Zwangstörung. Für diese hohe Zahl an Betroffenen gibt es leider viel zu wenig Behandlungsplätze, was gerade für die Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen zu langen Wartezeiten auf einen Therapiepatz führt.

Eine Auskunft über Therapeuten in Ihrer Umgebung können Sie zum Beispiel bei der Deutschen Gesellschaft für Zwangserkrankungen (www.zwaenge.de) erhalten.

Auch in unserer eigenen Praxis in Prien am Chiemsee kann es aufgrund des hohen Bedarfs immer mal wieder Enpässe für neue Therapieplätze geben. Falls Sie aus der Region Oberbayern kommen und an einer Therapie bei uns interessiert sind, besuchen Sie uns gerne über unser Kontaktformular. Wir sind immer bemüht, Ihnen so schnell wie möglich zu antworten.

Da wir auch sehr viele Anfragen aus ganz Deutschland und den umliegenden Ländern erhalten an dieser Stelle noch eine kurz Information und Bitte: Die Behandlung der Zwänge erfordert zumindest zu Therapiebeginn immer regelmäßige persönliche Kontakte - und oftmals auch Übungen im direkten, persönlichen Umfeld der Betroffenen. Wir müssen uns deswegen leider auf die Behandlung von Betroffenen aus der Region Rosenheim/Traunstein beschränken - allen anderen könnten wir nicht die Therapie anbieten, die für Zwänge notwendig ist. Falls Sie in Ihrer Region Schwierigkeiten haben, einen Therapieplatz zu finden, können Sie eventuell auch einaml bei den folgenden Vermittlungsstellen nachfragen:

Weiterlesen: Therapieplatz-Vermittlung.

“Komorbidität” - Das Problem mit den weiteren Erkrankungen

Ein weiterer Punkt, der die Behandlung der Zwänge erschweren kann, ist die so genannte Komorbidität. Darunter verstehen die Ärzte die Erkrankungen, die parallel zu einer Zwangserkrankung auftreten können.

Depressionen

Als wichtigste Erkrankung sollte dabei die Depression genannt werden. Sie kennen dies vielleicht wieder selbst: Zwänge können einen Betroffenen im Laufe der Jahre immer mehr zermürben und verunsichern. Die hieraus entstehenden Gefühle von Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein führen dann bei sehr vielen Betroffenen zum Auftreten von depressiven Symptomen, wie zum Beispiel Niedergeschlagenheit, Selbstzweifeln, Zukunftssorgen oder Gefühlen der Hoffnungslosigkeit.

Die Behandlung richtet sich deswegen nicht nur nach den Zwängen, sondern auch nach dem Ausprägungsgrad dieser depressiven Symptomatik.

Ängste

Zwänge sind zumeist mit mehr oder weniger ausgeprägten Ängsten verbunden: Der Angst vor Kontrollverlust; der Angst, dass anderen etwas zustoßen könnte; der Angst, dass man selbst eine Schuld aufladen könnte; usw. usw. ...

Viele Betroffene kennen neben den Zwängen auch weitere Ängste, die entsprechend einen Raum in der Therapie finden sollten.

Suchterkrankungen: Alkohol, Beruhigungsmittel...

Zwänge können die eigene Anspannung massiv erhöhen - und um diesem immensen Druck stand zu halten kann es vorkommen, dass die Betroffenen zu einem Mittel greifen müssen, um ihre Anspannung zu reduzieren, wie zum Beispiel Alkohol oder Beruhigungsmitteln.

Falls dies auch für Sie zutrifft, sprechen Sie bitte mit Ihrem Therapeuten / Ihrer Therapeutin darüber. Der Griff zu diesen beruhigenden Mitteln ist zunächst einmal etwas “ganz menschliches”, sollte aber in der Therapie unbedingt beachtet werden, damit Sie aus dem Teufelskreis von Anspannung und Alkohol/Medikamenten ausbrechen können.


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